Wie soll man über jemanden schreiben, dessen Name nicht mal zweifelsfrei feststeht? Breughel, Brueghel, Brögel? Damals, in den 1540er Jahren, gab es weder Reisepässe noch ein zentrales Melderegister. Wenn einem morgens beim Verlassen des Hauses, im Hinaustreten in Dreck und Gestank, wo Pferde wieherten, Kinder schrien und fröhlich Nachttöpfe aus den Fenstern gekippt wurden, die Lust anwandelte, als Abakus Alabaster aufzutreten, war niemand da, einen dran zu hindern. Was nebenbei die einzig glaubhafte Erklärung für den Namen des Mentors abgibt, in dessen Werkstatt Bruegel seinen Pinselstrich perfektionierte: Hieronymus Cock.
Ich erinnere mich noch an meine erste Berührung mit Bruegel im Kunsthistorischen Museum. Das muss fünfzehn oder mehr Jahre her sein. Damals hatte er mich kaltgelassen. Einzig die grandiose Wucht seines Turmbau zu Babel hat Eindruck hinterlassen. Der Rest, seine Jagd- und Bauernszenen, erschienen mir hölzern und eintönig, festgefahren im Schlamm endloser Kot- und Erdtöne.
Viele Jahre trug ich diese Einschätzung mit mir herum. Bis ich ins entlegenste Waldviertel übersiedelte. In ein gottverlassenes Kaff an der tschechischen Grenze. Vereinsamte Kinder streunten auf der Straße umher. Jugendliche schmierten mir Hakenkreuze auf die Heckscheibe. Misstrauen herrschte. Zwietracht. Hader. In dieser Atmosphäre stolperte ich eines Tages wieder über Bruegel. Seltsamerweise in einem Buch über Surrealismus, das ich zum Geburtstag bekommen hatte. Bruegel und Bosch wurden darin als flämische Vorreiter des Surrealismus genannt. Bruegels wüste apokalyptische Gemälde waren abgebildet, Der Triumph des Todes und Die tolle Grete, mit denen er seine Albträume ausgeschwitzt hat.
Die tolle Grete
Der Triumph des Todes
Und dann war noch ein Gemälde abgedruckt. Eines seiner Dorfbilder, der Kampf zwischen Fasching und Fasten. Der Autor hatte es angeführt, um auf Bruegels „andere Seite“ hinzuweisen, in geringschätzigem Ton. Der „Bauern-Bruegel“, im Gegensatz zum fantastischen Visionär. Ein Schmähname, über den man regelmäßig stolpert.
Jedenfalls, da war er, der Kampf zwischen Fasching und Fasten. Mit dem Mann, der auf dem Fass reitet. Dem Quacksalberdoktor. Den wie Flöhe hüpfenden Musikanten. Auf den ersten Blick muntere Festlichkeiten. Aber bei näherem Betrachten sah ich zu viel Weiß in den Augen. Ich entdeckte Fieber, Hader, Hysterie. Tatsächlich ist das Dorf ein Pulverfass. Die Feiernden tanzen an der Grenze der Zivilisation, streifen an der dünnen Membran, hinter der wüste Orgien und Pogrome lauern.
Ein Gefühl des Wiedererkennens durchströmte mich. Legte ich dieses Gemälde wie eine Schablone über mein Kaff, waren sie nicht deckungsgleich, aber stimmten auf einer tieferen Ebene überein, wie wenn man ein Röntgenbild über ein Foto legt. Es war, als hätte ich an Bruegels Malerei ein Wasserzeichen entdeckt. Die Authentizität war verbürgt. Der Wahrheitsgehalt. Von da an sah ich ihn mit anderen Augen.
Keine Ahnung, wann sich die Schimpfnamen „Bauern-Bruegel“ und „Pieter der Drollige“ etablierte, aber man kann sich leicht vorstellen, wie er von seinen Zeitgenossen für die Wahl seiner Sujets verhöhnt und verspottet wurde. Während seine Kollegen den Papst malten, Fürsten, die Auferstehung Christi und Blumensträuße, saß Bruegel an einem zahnlosen Taugenichts und versuchte, ihm einen Furz in die Hose zu zeichnen. Er ist der ultimative Maler des Menschen im sechzehnten Jahrhundert. Sein Werk ist geladen mit Liebe, Sehnsucht, Lüsternheit, Edelmut, Perversion, Mord, Brutalität, Hass, Traurigkeit, Schönheit, Großherzigkeit, Grausamkeit, Vergebung. Seine Mission war, die Menschen in ihrer Gesamtheit zu erfassen: nicht nur abzubilden, was sie zeigen wollten, nicht allein das, dessen sie sich rühmten, sondern auch das, was sie lieber versteckt gehalten hätten
Selbst etwas scheinbar Unschuldiges wie Kinderspiele dehnt sich unter seinen Händen bis an die äußeren Ränder menschlicher Emotionen.
Die Zeit hat ihm recht gegeben. Die Spötter und Großmäuler sind verschwunden. Bruegel ist geblieben. Jahrhundert um Jahrhundert behaupten sich seine Gemälde gegen das Vergessenwerden. Die Vielfalt menschlicher Wahrheiten, die er in ihnen eingefangen hat, verleiht ihnen Haltbarkeit. Noch immer strahlen sie da drin, wie Drähte im Inneren von Glühbirnen, und leuchten mit ihrem Schein eine Ecke des menschlichen Geheimnisses aus.
Für alle Wiener und diejenigen, die es in nächster Zeit nach Wien verschlägt, sei angemerkt, dass das Kunsthistorische Museum über die bedeutendste Bruegel-Sammlung der Welt verfügt. Wenn jetzt noch die Albertina dazukommt, mit einer Sonderausstellung ab 14. Februar, drängt es sich geradezu auf, mal einen Nachmittag Bruegel und seinem Jahrhundert zu widmen. Lasst euch vorher ein Bierchen schmecken oder einen Aperitif. Friert euch ein wenig die Füße ab. Atmet den Odeur einer öffentlichen Toilette. Und dann, wenn ihr gut vorbereitet seid, eingestimmt auf das sechzehnte Jahrhundert, wenn die Sinne geschärft sind und die Nervenbahnen angekitzelt, taucht ein in die Portale seiner Gemälde.
Und lasst euch überraschen, wie wenig sich in fünfhundert Jahren geändert hat.