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Maßnahmenvollzug

 

 

Die Schlagzeile im Kurier lässt mich aufhorchen. Ich klicke auf den Artikel. Ein 41jähriger Angeklagter wird genannt. Auch der auf einen Buchstaben reduzierte Familienname passt. Zwanzig Jahre habe ich nichts von ihm gehört. Seit damals, als wir im Streit auseinandergegangen sind, nach einem Wortgefecht vor Pandoras Box, einem Pub im sechsten Bezirk.

 

 Ich las weiter ... Siebzehn Vorstrafen ... Gewohnheits-Gewalttäter ... Einweisung in eine Justizanstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher.

 

Justizanstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher! Meine Fresse. Auf gewisse Weise bestimmt einer der Endpunkte, die es in diesem Leben gibt, wenn man ihn ganz bis zum Schluss gegangen ist, den Stolperweg da rein in die Dunkelheit, mit diesem lausigen Billigramsch von Kompass, den manche in der Kindheit in die Hand gedrückt bekommen.

 

Ich und er, wir haben uns erst in der Jugend kennengelernt. Ich weiß nicht, ob es stimmt, aber ich kann mir leicht vorstellen, wie er schon als Kind Tobsuchtsanfälle gehabt haben muss. Ein pummeliger Wüterich, der mit hochrotem Kopf seine Cornflakes gegen die Küchenzeile pfeffert. Mit ihm um die Häuser ziehen, war bisweilen ein stressiges Unterfangen. Er explodierte schneller, als man eine Mandel aus einer Olive saugen kann. Das war eine Schwäche, die den anderen im Freundeskreis fern war: Jähzorn. Tatsächlich blickten sie darauf herab. Sie hielten sich viel darauf zugute, auch in Grenzsituationen Haltung wahren zu können.

 

Die alte Bande! Wie lange habe ich nicht an sie gedacht? Wie soll ich eine Vorstellung von ihnen vermitteln? Vielleicht so: Unter ihrer rauen Schale waren sie unverzagte, liebenswerte Jungs, deren Herzen bloß ein klein wenig unbelehrbar waren. Sie wollten einfach nicht verstehen, ihre Herzen, dass sie lediglich das notwendige Maß an Kraft zu erzeugen brauchten, um das Blut um die Kurven zu schubsen. Sie lieferten immer einen Überschuss. Dieser Überschuss war die flüssige Rohwährung für Abenteuer.

 

Bis ich eine folgenreiche Entdeckung machte, damals, im Sommer, als ich einundzwanzig wurde: Ich entdeckte, dass es Menschen gab, die über einen ebensolchen Überschuss uneinsichtiger Herzen verfügten, ihn aber nicht in impulsiven Launen vergeudeten. Die der Vergänglichkeit einen Streich spielten und ihn in Werke eingehen ließen. Das schien mir ein atemberaubender Trick. Den wollte ich auch probieren.

 

Justizanstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher. Verdammt. Über die Jahre habe ich mich manchmal gefragt, was aus den Jungs geworden ist. Wo sie gelandet sind. Das ist die erste Nachricht, die mich erreicht. Von meiner Neugierde bin ich kuriert. Aber gründlich. Mehr will ich nicht wissen. Ich will sie lieber in Erinnerung behalten, wie sie waren.

 

Unverzagte, liebenswerte Jungs mit unbelehrbaren Herzen.